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Interviews

Unternehmer

Vor ihm zittern die Schotten

Jahrzehntelang steuerte Dolf Stockhausen ein Familienunternehmen in der chemischen Industrie. Dann wurde er Investor und Kulturkritiker. Jetzt setzt der frühere ClariantVerwaltungsrat und Wahl-Nidwaldner zur Neuerfindung des Whiskys an.
Alles Physik, keine Chemie: Unternehmer Stockhausen. Bild: Herbert Zimmermann für die Weltwoche
Alles Physik, keine Chemie: Unternehmer Stockhausen. Bild: Herbert Zimmermann für die Weltwoche

In seinem Unternehmerleben hat Dolf Stockhausen schon vieles zum Erfolg geführt. Sein neuestes Projekt hat etwas geradezu Verwegenes. Der Erfinder hat ein Verfahren zur Herstellung von Single-Malt-Whisky entwickelt, bei dem das Getränk viel rascher altert als bei der konventionellen Fasslagerung.

Grass und kräftig gebaut, tritt uns der 73-Jährige entgegen. Er wirkt, im Gegensatz zu seinem Whisky, viel jünger, als ihn sein tatsächliches Alter ausweist. Mit seinem

freundlichen, etwas fülligen Gesicht und den pfiffigen Augen könnte er problemlos als Typ «zerstreuter Professor» durchgehen. Doch Stockhausen ist mehr als das. Er ist einer der kreativsten deutschen Exilunternehmer in der Schweiz. Mit Deutschland, sagt Stockhausen, habe er «im Groll gebrochen». Das Land sei mittlerweile «hoffnungslos sozialistisch».

Stockhausens Abschied von Deutschland vollzog sich in zwei Etappen. Ende der 1990er Jahre wanderte er nach Graz aus, wo er später die österreichische Staatsbürgerschaft annahm. 2011 zog Stockhausen in die Schweiz. Bereits zuvor hatte er eine Ferienwohnung in Ennetbürgen, wo er «die Schweizer kennen- und lieben gelernt und das schweizerische Erfolgsmodell schätzen gelernt» hat.

Gemeinsam mit seiner Ehefrau wohnt der ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen

stammende Erfinder in einer mit diskret-exklusivem Geschmack eingerichteten

Penthousewohnung an bester Seelage in Hergiswil, Kanton Nidwalden. Für die traumhafte Aussicht über den Vierwaldstättersee bleibt allerdings wenig Zeit, denn mit einer Präzision, die an ein Chemielabor erinnert, hat Stockhausen leere Degustationsgläser aufgereiht. Daneben volle Flaschen - manche davon mit gedruckter Etikette, andere mit Filzstift beschriftet, direkt aus dem Versuchslabor, in dem Dr. Stockhausen am Rad der Zeit dreht.

Raketenzündung

Zurzeit befinden sich die Baupläne für seine Erfindung beim eidgenössischen Patentamt in Bern. Sie sind also noch geheim. Der Name des Whiskys, «Seven Seals», gemahnt an das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln. Schüttet Stockhausen einen chemischen Turbolader in den Whisky? Oder streut er, wie bei der Weinlagerung teilweise üblich, Holzspäne ins Fass, um den Holzgeschmack zu unterstützen?

«Ich mache nichts, was die Schotten nicht auch machen. Aber ich mache es intelligenter», sagt Stockhausen und lugt listig durch die Gläser seiner Brille. «Der Whisky bekommt seinen Geschmack hauptsächlich aus den Diffusionsreaktionen, die zwischen der Flüssigkeit und dem Fass stattfinden.» Unerwünschte Arten von Alkoholmolekülen würden in die Fasswand wandern, während Geschmacksstoffe wie Tannine, Holzzucker und Vanilline aus dem Holz in die Flüssigkeit wechselten.

Die Geschwindigkeit, mit der dies geschehe, fährt Stockhausen fort, sei abhängig vom «Verhältnis von Oberfläche zu Rauminhalt». Da aber «die Kugel der geometrische Körper mit dem kleinsten solchen Verhältnis» sei und «ein Fass geometrisch ziemlich nahe an einer Kugel», sei klar, dass dies alles andere als optimal sei. Die Whiskyreifung im Fass laufe in Zeitlupe ab. Stockhausens Whiskyrevolution ist ein «Verfahren mit einer feinteiligeren Geometrie, bei dem die Reifung viel schneller geht».

Allerdings könne man beim Whisky nicht, wie beim Wein, einfach Holzspäne

hineinwerfen. «Das Übermass an Tanninen führt zu einem völlig ungeniessbaren

Resultat.» Vielmehr brauche das Holz in jeder Form eine Vorbehandlung mit Wasser, um die Tannine auf das erwünschte Mass zu reduzieren. Ausserdem, so Stockhausen, müsse man dafür sorgen, dass im Holz ausreichend Holzzucker und Vanillinen entstehen, die dem Whisky seinen Geschmack geben. Beim Studium der Fachliteratur zum Thema Whisky hat Stockhausen bemerkt, dass die Aromastoffe entstehen, wenn Holz über längere Zeit schonend erwärmt wird. In Schottland werden die Fässer hingegen mit 3000 Grad ausgeflämmt. «Bei solcher Art Erhitzung können nur wenige Aromastoffe entstehen.»

Sobald die Temperatur höher sei, entstünden sogar eher unerwünschte Inhaltsstoffe. Er habe, hält Stockhausen abschliessend fest, «das schottische Verfahren zu Ende gedacht». Alles Physik, keine Chemie. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, den Schotten eine Lektion in Sachen Whiskyproduktion zu erteilen? Er sei selber ein grosser Whiskyliebhaber, sagt Stockhausen. Als ihn vor zwei Jahren ein Bekannter anfragte, ob sie gemeinsam eine stillgelegte Brennerei übernehmen wollten, sei er begeistert gewesen. Bei genauerem Nachdenken habe er dann aber gemerkt: «Ich bin jetzt 72. Bis ich das erste Fass öffnen kann, muss ich mindestens zehn Jahre warten und weiss vorher gar nicht, ob das überhaupt etwas geworden ist.» Es müsse einen besseren Weg geben. Also begann er, sich detailliert mit den Prozessen bei der Whiskyreifung zu befassen, und machte sich dann ans Experimentieren.

Bei seiner Whiskyerfindung schöpfte Dolf Stockhausen aus seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Produktentwicklung. Anfang der 1980er Jahre hatte er die Leitung der familieneigenen Chemiefirma Stockhausen, gegründet 1907 in Krefeld,  übernommen.

Damals schrieb man achtzig Millionen D-Mark Umsatz und war «ein ganz nettes, kleines Unternehmen». Die betriebswirtschaftliche Raketenzündung erfolgte, als die Firma das Granulat entwickelte, das bis heute in Babywindeln führender Hersteller für die Flüssigkeitsaufnahme zuständig ist. In den folgenden Jahren vervielfachten sich Umsatz und Gewinn.

Dann kam das Jahr 1992. «Leider wollte die Familie Kasse machen und verkaufte das Unternehmen an die Chemischen Werke Hüls (heute Evonik)», hält Stockhausen etwas wehmütig fest. Immerhin, ein kleiner Trost bleibt dem Tüftler: Anders als seine Mitgesellschafter, versteuerte er den Verkaufsgewinn nicht mit den in Deutschland üblichen 48 Prozent, sondern nur mit 24 Prozent. Es sei ihm ein besonderes Verfahren eingefallen. Stockhausen lächelt zufrieden. «Das hat nur ein einziges Mal funktioniert!»

Sofort nachdem ihm der deutsche Fiskus die Regelung hatte zugestehen müssen, erliess dieser einen sogenannten Nichtanwendbarkeitsbeschluss für die Zukunft.

«Sokratische Kunst des Produktdesigns»

Den Erlös aus dem Verkauf investierte Stockhausen in die Süd-Chemie in München, die 2011 von Clariant übernommen wurde. Sowohl bei Süd-Chemie als auch bei Clariant gehörte Stockhausen dem Verwaltungsrat an, dort als Vize-Präsident, hier unter anderem als Mitglied des Ausschusses für Forschung und Entwicklung. Sein Verständnis der industriellen Produktentwicklung beschreibt Stockhausen als die «sokratische Kunst des Produktdesigns». Es gehe darum, die von Sokrates beschriebene «Hebammenkunst» im industriellen Umfeld anzuwenden: Ideen in einem strukturiert-simultanen, hierarchieübergreifenden Dialog zu entwickeln. Er sei immer «gegen papierne Vorgänge»

gewesen, vielmehr gehe es um «die maximale Nutzbarmachung des Wissens und der Ideen von Mitarbeitern». Sein Verfahren für die Whiskyherstellung habe das Zeug dazu, eines der drängendsten Probleme der Whiskyindustrie zu lösen, das Fassproblem. Aufgrund des weltweiten Whiskybooms und einer Gesetzesänderung in den USA, die erstmals die Wiederverwendung bisher nach Schottland exportierter gebrauchter Bourbon-Fässer erlaubt, bekommen die Destillerien kaum noch Fässer in der notwendigen Menge und Qualität. Sobald das Patent steht, will er deshalb neben der eigenen Produktion des «Seven Seals» auch Lizenzen an andere Destillerien verkaufen.

Die ersten Reaktionen des Publikums seien «sehr ermutigend», sagt Stockhausen. Diesen Herbst war er auf dem Whiskyschiff in Zürich, wo sein Whisky reissenden Absatz fand. Und auch die Fachwelt wird hellhörig. Bei einer Degustation hielt der vielbeachtete Whiskykritiker Jim Murray fest, die Produkte von «Seven Seals» seien besser als ein Grossteil der Whiskys schottischer Destillerien. Einer auf dem Markt noch nicht erhältlichen fassstarken Variante mit Portweinfinish verortete er als Kandidat für die Liga «Whisky des Jahres». Das sei, betont Stockhausen, auch in hohem Masse der Qualität der angelieferten Destillate von der Schwesterfirma Langatun in Aarwangen und dem ausserordentlichen Whisky-Know-how seiner beiden Partner zu verdanken. Neben dem Getränkebusiness betätigt sich Stockhausen als Investor von jungen, dynamischen Unternehmen. So ist er unter anderem an einem Hersteller von Wasserstrahlschneidemaschinen beteiligt und an einem Spin-off der ETH Lausanne, das ein Verfahren für die bakteriologische Untersuchung von Wasser entwickelt hat, das beispielsweise bei Mineralwasserproduzenten zum Einsatz kommt.

Zu seinen Grazer Zeiten war Dolf Stockhausen neben seiner unternehmerischen Aktivität ein vielgelesener Autor. Für die Grazer Woche verfasste er Theater-, Opern- oder Konzertkritiken, und im Magazin Zur Zeitwetterte er gegen Sozialismus und Bürokratie.

Stockhausen entwickelte sich zu einem der gefürchtetsten Theaterkritiker Österreichs. Besonders hart ging er mit dem modernen Regietheater ins Gericht, wenn es die Werke zur Unkenntlichkeit verfremdete. Als Katharina Wagner in Bayreuth mit diesem Konzept anfing, schrieb er, die Wagner-Festspiele drohten am «dekonstruktiven Regietheater zu ersticken».

Einen Moment will es den Eindruck machen, als hätte er auch heute noch Lust, ab und zu zur Feder zu greifen. Doch da interveniert Stockhausens Frau: «Die Zeiten sind vorbei.» Wenn man dauernd darüber nachdenke, was man schreibt, könne man die Aufführungen ja gar nicht geniessen. Seinen eigenen Whisky geniesst Stockhausen bislang in vollen Zügen.

Bild: Herbert Zimmermann für die Weltwoche

Erschienen in der Weltwoche, 09.01.2019